Tempo 30 in der nördlichen Bahnhofstraße

Sehr geehrter, lieber Herr Oberbürgermeister Palm,

gerne möchten wir nochmals auf unseren Vertagungsantrag in der letzten GR-Sitzung zu diesem wichtigen Tagesordnungspunkt zurückkommen. Neben der Tatsache, dass seit der GR-Klausur (wie auch von Oberbürgermeister Christoph Palm ausgeführt) neue Planvarianten ins Spiel gebracht wurden und zwei unserer zu diesem Thema sachkundigsten Fraktionsmitglieder bei der letzten Sitzung allein berufsbedingt fehlen mussten, waren es vor allem zwei Gesichtspunkte, die uns bewogen haben, die Vertagung dieses wichtigen Punktes  zu beantragen:

  • Die Bahnhofstraße wird mit den ihr in dem Umsetzungsvorschlag zugewiesenen Funktionen (Ortsdurchgangs- und –verbindungsstraße, sichere Straße für Fahrradfahrer, Einkaufs- und Flaniermeile, ÖPNV-Straße) u. E. überfordert, denn auch die Bahnhofstraße ist keine „eierlegende Wollmilchsau“. Deshalb können wir die jetzt vorliegende  „Misch-Masch-Vorlage“ in der wir einen „faulen Kompromiss“  sehen, nicht gutheißen. Vielmehr teilen wir die Auffassung eines FZ-Leserbriefschreibers vom 12. Juli 2016, dass „es nichts bringt, wenn wir ein paar Schilder aufstellen mit Tempo 30 und den Radweg auf die Straße verlegen. Vielmehr muss die Bahnhofstraße komplett neu gestaltet werden“.
  • Nach wie vor sind Fragen offen und Probleme ungelöst. So fragen wir uns,  wie es zukünftig um die Verkehrslenkung (insbesondere der Fahrradfahrer) aber noch mehr um deren Verkehrssicherheit bestellt sein wird. Wir wollen nicht an einem Beschluss mitwirken, der womöglich nachher Konfusion auslöst und vor allem das Leben unsicherer (häufig jüngerer und älterer)  Fahrradfahrer aufs Spiel setzt.

Unsere Anregung eine Entscheidung bis nach der OB-Wahl zu  verschieben, kommt daher, dass es sich bei der Neukonzeption für die nördliche Bahnhofstraße um eine schwerwiegende, folgenreiche und für den gesamten VEP grundsätzliche Entscheidung handelt. Wenn hier z.B. Tempo 30 eingeführt wird, werden nach dem Motto „Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig“ umgehend Forderungen folgen, auch auf allen anderen Abschnitten der Kappelberg-, Rommelshauser-, Burg-, Untertürk-heimer-, Hinteren-, Vorderen-, Bahnhof-, Fellbacher-, Oeffinger-, Haupt- und Ludwigsburger Straße dasselbe Tempolimit einzuführen.  Mit welchen Argumenten könnten wir das diesen Bewohnern verweigern?

Nach mehreren internen Beratungsrunden stellt unsere FW/FD-Fraktion folgende Anträge:

  1. Wir beantragen zu prüfen, ob die Nördliche Bahnhofstraße (ggf. auch nur abschnittsweise) in eine Fußgängerzone umgewandelt werden kann, wobei dann vorab geprüft werden muss, wie der Verkehr umgelenkt werden kann.
  2. Alternativ bitten wir zu prüfen, ob nicht der Radverkehr gänzlich in die Theodor-Heuß-Straße verlegt werden kann, so dass die Bahnhofstraße schwerpunktmäßig von Kfzs befahren und die jetzigen Radwege zugunsten der Fußgänger bzw. der Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe aufgehoben werden können.
  3. Auch beantragen wir, nochmals vertieft und alternativ für beide Richtungen die Einführung eine „Einbahnstraßenregelung in der Bahnhofstraße“ zu untersuchen. Dann wäre es ohne Umbauten möglich, in der Bahnhofstraße den bisherigen Radweg aufzuheben und dem Gehweg zuzuschlagen, was zur Aufenthaltsqualität und zur Aufwertung als Einkaufsstraße in erheblichem Maße beitragen würde. Dann wäre auch genügend Platz im Straßenraum, um neben einer Fahrspur zumindest einen optisch abgegrenzten und ausreichend breiten Radweg einzurichten, auf dem auch Jüngere und Ältere einigermaßen gefahrlos fahren können. Analoges gilt für die Theodor-Heuß-Straße. Eine solche Lösung erscheint  technisch und vom Verkehrsaufkommen noch besser machbar wenn der U-Turn an der Steinbeisstraße zur Entlastung der Stuttgarter Straße beiträgt.
  4. Des Weiteren beantragen zu prüfen, wie sich eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h auf der nördlichen Bahnhofstraße auf die Leistungsfähigkeit der Einsatzfahrzeuge von Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehr in Notfällen auswirkt. Dies auch im Lichte der in der Stellungnahme der SSB vorgetragenen Bedenken, dass bei Tempo 30 die Zeitpläne der Busse nicht mehr eingehalten werden können und der ÖPNV in Fellbach mit dieser Maßnahme geschwächt wird.
  5. Und schließlich beantragen wir, eine Umgestaltung der Bahnhofstraße erst vorzunehmen, wenn ein schlüssiges GESAMT-VERKEHRS-KONZEPT zumindest für ALT-FELLBACH und auch ein ergänzendes PARKRAUMKONZEPT entwickelt ist, das für eine funktionierende Einkaufsstraße unerlässlich ist. Solange muss auch das Ansinnen zurückgestellt werden, in der Esslinger Straße Tempo 30 einzuführen und parallel oder quer zur nördlichen Bahnhofstraße verlaufende neue Fahrradstraßen auszuweisen.

 

BEGRÜNDUNG:

 

Bei aller Wertschätzung der bei Stadtspaziergängen gewonnenen Erkenntnisse und der Erkenntnisse aus dem Staffel Prozess 25 sollte man nicht vergessen, dass sich hieran insbesondere die unmittelbar betroffenen Anwohner beteiligt haben, die doch aus verständlichen Gründen oft der Versuchung unterliegen, ihre ganz persönlichen Interessen wahrzunehmen.  Interessant wäre deshalb

auch eine fellbachweit erhobene repräsentative Meinungsumfrage zu solchen Umgestaltungen und Geschwindigkeitsbeschränkungen oder zum Beispiel auch eine Kundenbefragung.

 

Eine Zustimmung für die Vorlage in ihrer jetzigen Form  kommt einem Affront gegenüber den Rettungsdiensten gleich! Wollen wir ernsthaft die Gesamtverantwortung auf die Fahrzeugführer solcher Rettungsfahrzeuge abwälzen? Wir können doch nicht ständig mit neuen Sperrungen und Temporeduzierungen (ist ja heute schon in allen Wohnortstraßen so) die gewiss nicht leichte Arbeit dieser Blaulichtorganisationen noch schwerer machen. Außerdem ist auch an die auf Hilfe angewiesenen „Kunden“ dieser Organisationen zu denken und da sind oft Sekunden ausschlaggebend. Das Argument der drastisch erhöhten Sorgfaltspflicht infolge einer Temporeduzierung ist für uns mehr als stichhaltig. Wir verweisen in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die jüngst in der FZ vorgetragene massive Kritik der Fellbacher Feuerwehr an den geplanten Maßnahmen in der nördlichen Bahnhofstraße.

Verwundert sind wir, dass die Bedenken der SSB nicht ernst genommen werden  und es offensichtlich niemand stört, dass mit der Einführung von Tempo 30 rund um die Uhr der ÖPNV in Fellbach erheblich geschwächt wird.

Und noch ein Hinweis: Grundsätzlich gilt bis heute Tempo 50 als die innerorts gültige Regelgeschwindigkeit lt. StVO. Dies blieb auch so bei der letzten Änderung der StVO und wird auch bei der bevorstehenden „Dobrindt‘schen Änderung“ so bleiben. Die dort angesprochenen Tempo 30-Bereiche sind schon heute in Fellbach Usus und werden daher nichts an der Regelgeschwindigkeit ändern. Schon heute ist es doch so, dass nahezu alle Wohn- und Erschließungsstraßen mit Tempo 30 belegt sind.

Laut StVO sind Ausnahmen von der Regelgeschwindigkeit 50 km/h nur unter folgenden Gesichtspunkten möglich:

  1. Aus Verkehrssicherheitsgründen – also Unfalllage – dieser Punkt wird in der nördlichen Bahnhofstraße nicht erfüllt, weil nahezu alle Unfälle tagsüber passieren, wo die Geschwindigkeit eh nicht höher ist. Außerdem gab es nicht einen Unfall, der aufgrund überhöhter Geschwindigkeit passiert ist.
  2. Aus Lärmschutzgründen – Als Maßnahme der Lärmreduzierung taugt sie aus unterschiedlichen Gründen auch nicht. Hier wird der Bevölkerung eine Verbesserung vorgegaukelt, die nicht eintreffen wird.
  3. Aus städtebaulichen Gründen – Dieser Punkt wird auch nicht erfüllt, da nach den jetzt zur Diskussion stehenden Plänen der Verwaltung kaum bauliche Veränderungen vorgesehen sind!

Fazit: Es gibt keinen Grund, der es bei dieser Vorlage rechtfertigt, in der Bahnhofstraße Tempo 30 einzuführen. Außerdem bitten wir zur Kenntnis zu nehmen, dass die heute tagsüber dort gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit 27 km/h und über 24 Stunden gerechnet gerade einmal 37 km/h beträgt, so dass wir auch aus diesen Gründen keinen Handlungsbedarf sehen.

Stattdessen sind wir der Auffassung, dass man um eine (ggf. nur abschnittsweise umzusetzende) bauliche und gestalterische Neukonzeption für die nördliche Bahnhofstraße im Sinne eines „Shared Space Konzeptes“ (ähnlich wie beim Rathaus Carrée)  nicht herumkommen wird, wenn man die eingangs genannten Ziele erreichen und für eine hohe Aufenthaltsqualität sorgen will. Eine so umgestaltete Straße wird tagsüber und in Zeiten mit hoher Fußgängerfrequenz automatisch zu einer Geschwindigkeitsreduzierung führen.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Lenk                     

Nach oben scrollen
Consent Management Platform von Real Cookie Banner